Piercing – mehr als „nur Schmuck“
Beim Piercing handelt es sich um ein Schmuckstück, welches transfixierend (der Stichkanal durchspannt das Gewebe komplett, Eintritt und Austritt liegen „vorne“ und „hinten“) oder subkutan (Eintritt und Austritt des Stichkanals liegen in einer Ebene) in das Gewebe eingebracht worden ist, sodass es dort auf Dauer verbleibt.
Lokalisation und Stichtechnik müssen weise gewählt werden, denn die anatomische Gewebearchitektur und das Verteilungsmuster der rezeptiven neurologischen Strukturen zur Vermittlung von Sinnesreizen variiert am menschlichen Körper deutlich.
Das Körpergewebe der Körperdecke ist von zahlreichen Gleitschichten und Verbindungsschichten (Faszien) durchzogen, ihr Faserverlauf muss in die Überlegungen der Anlage des Stichkanals mit einbezogen werden.
Auch die punktuelle „endgültige“ Lokalisation eines Piercings ist zu beachten und zu durchdenken.
Um ein Piercing optimal zu setzen, müssen vor allem diese beiden Aspekte erfüllt sein:
Der Verlauf des Stichkanals muss mit dem Verlauf der Faserstrukturen der Faszien harmonieren
und
die punktuelle Lokalisation muss im Einklang stehen mit dort möglicherweise sich befindenden Akupunkturpunkten.
Das im Lehrkanon der asiatisches Medizintraditionen fest etablierte System der Leitbahnen/Meridiane/Kanäle ist in der westlichen Schulmedizin nicht etabliert und daher auch nicht validiert und steht daher beim Piercen auch nicht im Fokus.
Die Abwehrreaktion des Körpers gegen ein Piercing (Wildfleisch, Zystenbildung, Herauswachsen, Verdrehen, Schiefziehen …) kann auch auf einer unglücklichen Lokalisation an einem Akupunkturpunkt beruhen oder auf einen nicht harmonischen Verlauf des Stichkanals zurückzuführen sein.
Die Akupunkturpunkte erhalten im Lehrkanon der westlichen Schulmedizin keine offizielle Bestimmung als anatomische Struktur, jedoch ist die als „Punkt“ bezeichnete anatomische Struktur eigentlich ein „Loch“, wenn man sich die chinesische Wortbedeutung in der korrekten Übersetzung vor Augen führt.
Jenes „Loch“ kann als eine Lokalisation in Form einer mikroskopisch kleinen Öffnung in der Faszienstruktur nachgewiesen werden, durch welche eine Nervenstruktur (meist im Verbund mit einem feinen Blutgefäß) aus der Tiefe des Muskel- oder Knochengewebes an die Faszienoberfläche auftaucht und nun dort verläuft, um dicht unterhalb der Körperdecke eine rezeptive Funktion zu erfüllen.
Das „Loch“ mit seiner eindeutig diesem zugehörigen Nerven-Gefäß-Struktur wird in der chinesischen Medizintradition als „Punkt“ zu Therapiezwecken mit entsprechender Indikation mittels Akupressur, Akupunktur oder Moxibustion gezielt gereizt.
An diesem „Punkt“ liegt eine direkte Anbindung an sensible Nervenfasern vor, diese treten mit dem entsprechenden Nerv über die Hinterwurzel in das Rückenmark ein, um von dort aus nach verschiedenen Verschaltungen zum Gehirn geleitet zu werden. Die Gesamtheit der sensiblen Fasern bildet die sensible Hinterstrangbahn des Rückenmarks und zieht zum Gehirn.
Der gesamte Körper wird über jeweilige sensible Nervenendigungen mit den entsprechenden an diese gekoppelten Nervenfasern im sensiblen Hinterhorn organisiert und im Gehirn entsprechend abgebildet.
Ein taktiler Reiz an einer peripheren Nervenendigung findet also zielsicher seinen Weg ins Gehirn und erfährt dort eine Verwertung/Verarbeitung.
Wenn nun ein Patient gezielt mit taktilen Reizen in Form einer Akupunktur oder Moxibustion an ausgewählten Punkten behandelt wird, kommt es zu einer Verrechnung der Reize und zu einer aus dieser Stimulation heraus kodierten Reizantwort.
Diese Antwort hat einen therapeutischen Effekt, sodass die Reizung eines Punktes oder eines gezielt erstellten Punktemusters eine Schmerzlinderung bis vollständige Schmerzstillung nach sich ziehen kann und steigernd oder drosselt auf Organfunktionen oder ausgleichend auf Fehlfunktionen von Organsystemen wirkt.
In Bezug auf diese Therapieverfahren gibt es Verfechter und Gegner, die Wirkung wird angezweifelt, ohne einen Beweis der Nichtwirkung konkret zu erbringen.
Die mehrere Tausend Jahre alte Tradition asiatischer Medizinsysteme hat bis heute ihre Gültigkeit im asiatischen Kulturkreis und die wissenschaftlichen Erkenntnisse um eine mögliche Folgerichtigkeit der Lehre verdichten sich.
Ein Piercing kann also immer auch als eine intensive Form der Dauerakupunktur zur Anwendung kommen und vor allem dann als solche in Erscheinung treten, wenn am Ohr gepierct wird.
Der Mythos „Migränepiercing“
„Die Migräne“ gibt es nicht.
Migräneartiger Kopfschmerz kann hundert Ursachen haben.
Fehlfunktionen von Magen, Darm, Leber und Nieren können mit episodisch auftretenden Kopfschmerzen einhergehen.
Die „Cephalgie“ - jener üble Kopfschmerz, welcher oft als „Migräne“ bezeichnet wird, hat mitunter Ursachen, welche im Funktionskreis Halswirbelsäule-Kiefergelenk-Hinterhauptschädel (OAA) zu suchen sind und somatosensorische Ursachen haben.
Mitunter treten Ohrgeräusche (Tinnitus) auf.
Auch jeder Tinnitus hat eine „eigene“ Ursache, auch „den Tinnitus“ gibt es nicht.
Daher hat es wenig bis gar keinen Sinn, nun gegen „die Migräne“ ein Daith zu piercen, denn wenn „die Migräne“ nicht vorher klar identifiziert wird, bleibt eine positive therapeutische Wirkung aus. Die „Region Daith“ umrahmt einen in der französischen Ohrakupunktur als Nullpunkt bezeichneten Punkt, welcher in Verbindung mit dem Vagussystem steht und unter Umständen eine schmerzlindernde Wirkung entfaltet, wenn er korrekt stimuliert wird.
Eine ausdrückliche „Wirkung gegen Migräne“ bei Behandlung dieses Punktes über ein Piercing ist mir bisher in keiner seriösen Medizinliteratur begegnet.
Da beim Daith-Piercing jedoch der Ohrknorpel perforiert und Ausläufer des Punktes nahezu ausgestanzt werden, kommt eine starke Dauerreizung zustande, welche so lange andauert, wie die Abheilung des Piercings an Zeit in Anspruch nimmt. Es kann zu einer Linderung von Kopfschmerzen kommen, welche jedoch nicht zwingend auch dauerhaft anhält, denn streng genommen ist die eigentliche hintergründige Ursache für den Kopfschmerz nicht ausgeräumt.
Ist das Piercing abgeheilt, kommen oftmals die Beschwerden zurück.
In anderen Fällen bleibt eine Wirkung komplett aus.
Ob ein solches Piercing sinnig ist, entscheidet sich im EINZELFALL. Pauschalempfehlungen und Pauschaltechniken sind in meiner Praxis nicht üblich.
Soll eine Wirkung im Sinne einer Therapie durch das Setzen eines Piercings erzielt werden, ist dies nur möglich, wenn
die Lokalisation des Piercings regelrecht gewählt wird,
das medizinische Beschwerdebild im Sinne der Traditionellen Chinesischen bzw. Tibetischen Medizin exakt klassifiziert wird
und
der entsprechende Punkt folgerichtig aus den über dreihundert bis fünfhundert möglichen Punkten selektiert wird.
Zudem kann das Setzen von Akupunkturnadeln während des Piercens notwendig sein oder aber es muss eine Dauernadel am Gegenohr gesetzt werden.
Hierüber wird in aller Ausführlichkeit aufgeklärt, daher ist der Piercingtermin als Sprechstunden-Termin zu verstehen.
Das Piercing selbst wird unter Umständen an einem separaten Termin durchgeführt.
„Mal eben schnell ein Piercing machen lassen“ ohne Termin ist nicht möglich.
© Susanne Theobald
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